Künstler

<< zur Übersicht

Jörn Gerstenberg

Wann und wo wurden Sie geboren?
Geboren wurde ich am 3. Oktober 1969 in Ostberlin.

Leben Sie mit einen Partner zusammen?
Lassen wir die Kunst für den Künstler sprechen, denn der ist es egal, ob jener mit
Männern, Frauen oder alleine lebt.

Was ist Ihre Kunstrichtung?
Ich zeichne Ornamente und Konstruktionen, hauptsächlich
in Skizzenbücher, die sich schön stapeln lassen. Auch fertige ich
Linolschnitte an, die die Architektur einer imaginären Stadt zeigen. Es handelt sich um modernistische Bauten, die in der Melancholie vergangener Utopie dargestellt sind. Manchmal bemale ich Wände und meterlange Papierrollen mit verschlungenen Körpern, Pflanzen und Symbolen, hin und wieder sogar Leinwände mit Farbe.

Wie definieren Sie Kunst?
Wenn ich eine Definition parat hätte, würde ich nicht mehr zeichnen, sondern
nur noch reden. Aber als Angebot ein Aphorismus von Kafka:
„Unsere Kunst ist ein von der Wahrheit Geblendetsein:
Das Licht auf dem zurückweichenden Fratzengesicht ist
wahr, sonst nichts.“

Wie kamen Sie zur Kunst?
Ein wichtiger Impuls war das Kunststudium. Doch die Zeit danach war noch viel
wichtiger. Ich habe gezeichnet trotz Ausbildung und widriger Umstände.

Welchen Ratschlag möchten Sie anderen Künstlern mit auf den Weg geben?
Keinen. Kunst ist ein einsames Geschäft.

www.artcuts.de
jpg@artcuts.de

Schloss WrodowDer Minotaurus mit dem Sturzhelm

Im Jahre 1998 schuf der Berliner Künstler Jörn Gerstenberg im Treppenhaus des Schlosses seine Wandzeichnung "Der Minotaurus mit dem Sturzhelm", eine geheime Signatur der Menschen im Labyrinth des Lebens. Er schreibt:

Die Torsi in der modernen Bilhauerei entstanden, weil man die antiken, zerstörten Skulpturen fand und aus dem Bruchstückhaften ein eigenes Genre ableitete. Die Verbindung einander widersprechender Körperteile von Menschen und Tieren zu Fabelwesen beflügelte schon immer die Phantasie. Zentauren, Sirenen, Sphinx und Minotaurus wurden immer wieder abgebildet. Ich sah wissenschaftliche Darstellungen von menschlichen Körpern, bei denen aus Gründen der Anschaulichkeit Gliedmaßen und Körperteile weggelassen wurden. Ich empfand es als Aufgabe, die bildnerisch zerstückelten Körper wieder zu ergänzen. Ich ersetzte die fehlenden Gliedmaßen der Torsi durch technoide oder organhafte, wie symbolische Formen.

In Thomas Pynchons Roman "V" kopuliert eine Autofahrerin mit ihrem geliebten Sportwagen. Ich fragte mich, was aus dieser Verbindung entstehen könnte. Einneuer Minotaurus?

In einer Szene einer Erzählung von Jorge Luis Borges sucht der Protagonist mit dem Vergrößerungsglas einen Stich im Stile Piranesis, ein Labyrinth darstellend, ab, um den Minotaurus zu finden. Er entdeckt ihn im Schatten einer Säule lauernd. Wie sieht er aus im heutigen Labyrinth?

Ist es der Maschinenmensch, den Paul Virilio schildert: "In Wirklichkeit ist der Körper, der sich in einen 'stählernen Alkoven' einschmiegt, nicht der Körper eines kriegerischen Dandys, der im Kriege auf der Suche nach besonderen Erlebnissen ist, sondern der zweifach unfähig gewordene Körper des Soldaten-Proletariers; schon immer seines Willens beraubt, hat er von nun an das Bedürfnis, durch eine vehikuläre Prothese körperlich unterstützt zu werden, um in der Lage zu sein, seine historische Aufgabe zu erfüllen, nämlich den Sturmangriff". In der Romanverfilmung "Crash" von David Cronenberg sah man auf der Kinoleinwand die Maschinenmenschen als gepanzerte Freaks des Kampfes auf den Autobahnen.

Der Minotaurus ist nicht mehr allein im Labyrinth. Dort arbeitet ein Team von Spezialisten mit eigenem Kommunikationssystem.

Meine Zeichnungen neigen zur Stilisierung. Wann ist ein Körper als Zeichen noch erkennbar? Wann berührt des den Betrachter noch, wenn Verformungen formelhaft dargestellt werden? Die Figuren erhalten die Möglichkeit einer Verkettung, um bei einer Raumgestaltung die Wände netzartig überziehen zu können. Deshalb scheint mir die Serialität der gezeichneten Figuren nahezuliegen. Ich verwende Filz-Stifte, die auch Graffiti-Zeichner benutzen, um über einen unempfindlichen, kalten Strich zu verfügen. Meine Figuren können nicht malerisch gestaltet werden. Jede derart entstehende Figur bildet einen Buchstaben eines geheimen Alphabetes, das einen Text bildet, dessen Inhalt ansatzweise deutlich werden kann. Details entstehen aus der jeweiligen konkreten Situation des Schaffensprozesses. Die bezeichneten Wände bilden einen begehbaren Text mit einer Labyrinthstruktur, für die Vorbilder in den verzweigten Kompositionen bestimmter Gedichtformen bestehen. Es heißt, dass Bilder Gedichtformen sein können. Aus Texten werden dann Bilder und umgekehrt.

© 2006 Kunstverein Schloss Wrodow | Impressum